Gerichte und Gutachter - eine unheilige Allianz
Wenn ein Gutachten von mir kritisiert wird, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn der/die Sachverständige seine/ihre Arbeit verteidigt, die nach bestem Wissen (was nicht notwendigerweise ausreichend sein muss) und sicherlich auch nach bestem Gewissen gefertigt wurde. Kritische Einwände gegen bestimmte Vorgehensweisen könnten im Rahmen einer fachlichen Auseinandersetzung geklärt werden. Dazu kommt es aber erst gar nicht.
Aufgefordert vom Gericht, zu meiner Methodenkritik Stellung zu nehmen, wurde ich bisher in allen Fällen von den Sachverständigen diskriminiert. Hier die Palette meiner bisher am häufigsten genannten qualifikatorischen Mängel
o besitzt keine Erfahrungen auf diesem Gebiet
o verfügt über keine Zusatzqualifikation (Fachpsychologe für
Rechtspsychologie)
o hat nicht den Nachweis wissenschaftlichen Arbeitens durch eine
Promotion erbracht
o bedient sich einer unwissenschaftlichen Sprache
o hat keine Approbation und kann keine Differenzialdiagnosen von
Persönlichkeitsstörungen stellen
o verweist auf zu wenige und/oder nicht aktuelle Literaturquellen
o ist parteiisch, weil er im Auftrag der „Verliererpartei“ agiert
Auf meine kritisierten Inhalte gingen weder Gutachter noch Gericht ein. Was das Gericht betrifft, war das durchaus logisch und konsequent. Wenn der vom Gericht bestellte Gutachter widerspruchslos und überzeugend behaupten kann, dass sein Kritiker nicht qualifiziert sei, dann bedarf es keiner inhaltlichen Auseinandersetzung, schon gar nicht eines Ergänzungs- oder Obergutachtens. In den meisten Fällen wurde vonseiten des Gerichts die Kompetenz des Gutachters bestätigt, dass er über viele Erfahrungen verfüge und seine Empfehlung logisch und nachvollziehbar sei.
Das Delikate besteht nun darin, dass ausgerechnet vom fachlich nicht qualifizierten Gericht, das ja diese Leistung mangels Sachkenntnisse für seine Entscheidungsfindung zu benötigen glaubt, die Qualifikation des Gutachters und damit automatisch auch der Qualität des Gutachtens bestätigt werden. Ein typisches Beispiel aus letzter Zeit:
"Der Sachverständige hat in seiner ergänzenden Stellungnahme …[ ] auf die Fragen die der Kindesvater durch den Bezug auf ein von ihm beauftragten Diplom-Psychologen überzeugend Stellung genommen, dass nicht der vom Vater beauftragte Diplom-Psychologe sondern der vom Gericht beauftragte Sachverständige über die höhere Qualifikation und vor allem über eine höhere Erfahrung im familienrechtlichen Bereich vorweisen kann.
Der Sachverständige [Name] wird regelmäßig von verschiedenen Abteilungen des Familiengerichts Amtsgericht [ ] beauftragt und verfügt über erhebliche Erfahrungen in der Begutachtung von streitigen Sorgerechtsfällen.
Eine derartige fachliche und erfahrungsmäßige Kompetenz kann vom Kindesvater beauftragter Diplom-Psychologe nicht ausweisen. Dieser hat keine besondere forensische Erfahrung und Qualifikation; dies folgt, wie der Sachverständige [Name] zurecht betont hat, aus der Bezeichnung des Berufsumfeldes auf dem Briefkopf der vom Vater eingereichten Stellungnahme des Diplom-Psychologen Müller-Hahn. Im Übrigen hat der Sachverständige in seinen Ausführungen in dem Anhörungstermin [Datum] zu den sich aus seinem Gutachten ergebenen Fragen umfangreich und überzeugend Stellung nehmen können."
Ähnlich neutral, sorgfältig und überzeugend, wie die Diagnosen in seinem Gutachten hat nach Auffassung des Gerichts der Sachverständige auch meine Qualifikation untersucht (Anhand des Briefkopfes!). Es geht um die inhaltliche Substanz und Tragfähigkeit der Ergebnisse, ihr Zustandekommen und ihre Interpretation, weniger um die Kompetenz des Gutachters oder Gutachtenkritikers. Akademische und von Berufsverbänden vergebene Titel und Zertifikate, die Anzahl bisher erstatteter Gutachten sowie die Plausibilität des Vortrages bieten keine Gewähr für die Qualität eines Gutachtens. Diese ist allein aus seinem konkreten Inhalt herzuleiten.
Das Muster der Abwehrargumentation ist auch in der nächsten gerichtlichen Instanz zu finden:
Der Senat teilt die Ansicht des Familiengerichts, dass das Gutachten des fachlich ausgewiesenen und forensisch erfahrenen Sachverständigen überzeugt. Es verdeutlicht in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise …“
Übrigens, auch Astrologen können in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise ihre Horoskope darstellen, was nicht bedeutet, dass deshalb eine tragfähige wissenschaftliche Erkenntnis- und Methodengrundlage besteht. An anderer Stelle wird dann weiter ausgeführt:
„Die Kritik des Vaters, das Gutachten enthalte methodische Untersuchungsfehler ersten Grades (nach Klenner, FamRZ 1989,804 ff.) und sei wertlos, ist nicht berechtigt. Vielmehr genügen die Begutachtung und die Darstellung der dabei erzielten Ergebnisse den Anforderungen der Rechtsprechung an psychologische Gutachten im familiengerichtlichen Verfahren. Danach sind der Umfang der Erhebung, die Auswahl und Interpretation der entscheidungsrelevanten Daten, sowie die Darstellungsform der fachlichen Kompetenz des Sachverständigen überlassen, soweit er sich hierbei auf den Stand der Wissenschaft bezieht. (OLG München, FamRZ 2003, 530,531; Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 3. Aufl. S. 107,108; Metzger, FPR 2008, 273 ff.; Kluck, FPR 2003, 2003,535,540). Insgesamt muss das Gutachten transparent und nachvollziehbar sein (BGH,FamRZ 1999,1648)."
Hier wird erneut deutlich, über welch große Spielräume Sachverständige für ihr Handeln verfügen.
Gerade dieser Umstand erfordert dringend Offenheit für kritische Auseinandersetzung mit den Konzept und der Methodik eines Gutachtens - gleich, von welcher Seite sie erfolgt. Das wird jedoch dadurch behindert, dass das Gericht die Kompetenz des Gutachters und damit dem Gutachten ein Gütesiegel verleiht.
Das macht die Arbeit des Gutachters unangreifbar und diese Unangreifbarkeit behindert wiederum die fachlich-methodologische Entwicklung. Wenn keine Fehler gemacht werden, kann daraus auch nichts gelernt und verändert werden. Das mag ein Grund dafür sein, dass fragwürdigste Testverfahren seit Jahrzehnten im familienrechtlichen Bereich überleben und es erklärt vielleicht auch die Arroganz der Verfasser von Gutachten, der man nicht nur in der Diskussion um die Gutachtenmethodik begegnet, sondern gelegentlich auch im Umgang mit den Untersuchten.
Noch problematischer ist der gesellschaftliche Aspekt. Mit dieser Form der Begutachtung wird Expertenmacht ausgeübt. Diese muss sich keiner inhaltlichen Kontrolle stellen. Ich halte das in unserer Gesellschaft für einen untragbaren Zustand. Besonders problematisch ist, dass es gerade die Gerichte sind, deren vornehmste Aufgabe es ist, Machtausübung zu legitimieren und zu kontrollieren. In diesem Fall sind sie nicht Kontrolleure, sondern Sekundanten.